GENESIS | Markus Lüpertz

365-Tage-Galerie

ETTLINGER TOR – Richtung Marktplatz

BELET –ILI

Der gedeckte Tisch freut den Krieger.

Fotografie: Atelier Altenkirch, Karlsruhe

Der gedeckte Tisch freut den Krieger.

Fotografie: Atelier Altenkirch, Karlsruhe

Die beiden an dieser Station befindlichen Keramikbilder korrespondieren auffällig mit dem Standort: Hier befindet sich oberirdisch das Badische Staatstheater, somit eine der Karlsruher Spielstätten für die darstellenden Künste. Mit den beiden Stillleben im XXL-Format bringt Markus Lüpertz zusätzlich die bildenden Künste ein und lenkt damit bewusst den Fokus auf die darüber befindliche Institution. Zugleich machen die Keramiken deutlich, dass sich Lüpertz als Künstler versteht, der stets mit jahrhunderte- oder sogar jahrtausendealter Tradition im künstlerischen „Gepäck“ Kunstwerke erschafft: Stillleben sind bereits aus der Antike bekannt und erlebten ihre Blütezeit im Barock. Sie dienten nie nur der Erbauung, auch wenn sie die Künstler dazu nutzten, ihr Können bei der Ausdifferenzierung der Stofflichkeit der unterschiedlichen Gegenstände zu präsentieren. Rund 200 Jahre nach Erfindung der Fotografie kann Lüpertz allerdings voraussetzen, dass Kunstwerke die Realität nicht mehr möglichst detailgetreu widergeben müssen, sondern ein Versatzstück, wie der gelb-orange karierten Untergrund in der Bildmitte, als Tischdecke gelesen wird.

Auf beiden Keramiken finden sich ein Stierschädel, ein umgedrehter Stahlhelm und ein Schneckenhaus vor weitgehend abstrakt gehaltenem Hintergrund. Sie alle können als Symbole für den Tod interpretiert werden und erinnern damit an die Vergänglichkeit des Menschen. Zudem findet sich auf diesem Keramikbild in der Mitte am unteren Bildrand eine auf einem Totenschädel sitzende Eule, die gerne als Symbol der Weisheit gedeutet wird, während der Totenschädel in früheren Jahrhunderten oft allegorisch mit der Medizin verknüpft war – wer wünscht sich nicht eine weise Behandlung im Krankheitsfall? Raimund Wünsche verweist in seinem Buch zum Werk (Genesis-Trilogie, Bd. 2) zudem darauf, die Komposition aus Schädel und Eule habe Lüpertz zum ursprünglichen Titel „Athener Tisch“ inspiriert, da das mit Athena korrespondierende Tier die Eule sei.

Der Stahlhelm verweist wiederum auf Lüpertz‘ Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte. Seit den 1970er Jahren verwendet er dieses Motiv immer wieder, auch wenn er selbst meint, „Politik hat mich nie interessiert, sie war mir immer zu prosaisch, sie hat mich nie interessiert.“ Dennoch haben den 1941 Geborenen Krieg und Nachkriegszeit geprägt und haben damit auch Auswirkungen auf seine Kunst. So lässt sich dieses Stillleben auch als Auseinandersetzung mit seinem künstlerischen Werk interpretieren, dem er mit dem „Genesis“-Zyklus einen fulminanten Höhepunkt setzt.

„Belet-ili“ ist der Name einer mesopotamischen Muttergottheit, die als Schöpferin der Menschheit dem christlichen Gott gleichzusetzen ist. Sie wird mit Schwangerschaft und Geburt in Verbindung gebracht – Kinder bedeuten auch ein Fortleben nach dem Tod, was am Ende eines (Künstler-)Lebens zur Wahl dieses Titels geführt haben mag. Deutlich wird damit auch, dass Markus Lüpertz den „Genesis“-Zyklus breiter verstanden wissen will als nur auf das 1. Buch Moses in der Bibel reduziert. Immer wieder integriert er frühere Schöpfungsmythen, wie beispielsweise den Gilgamesch-Epos, aber auch Dantes „Göttliche Komödie“ und heidnischer Volksglauben gehören zu dem reichhaltigen Repertoire, aus dem er schöpft.

Text: © Chris Gerbing, 2023

WEITERE INFORMATIONEN

Das Wort „Genesis“ stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet übersetzt „Schöpfung, Entstehung, Geburt“, kann aber auch für die Bezeichnung des Ursprungs verwendet werden. Im biblisch-christlichen Kontext bezeichnet es das 1. Buch Moses, in dem der Bericht von der Erschaffung der Welt niedergelegt ist. Auf den insgesamt 14 Keramikbildern von Markus Lüpertz tauchen mit dem Christentum in Verbindung zu bringende Szenen nur zwei Mal auf: An der Haltestelle Kronenplatz (Nordseite) ist die Szene von Salome, die vor Herodes tanzt, zu sehen, die im Matthäus- und Markusevangelium erwähnt wird. An der Haltestelle Marktplatz (Westseite) schildert Lüpertz die Szene von Christus in der Unterwelt, von der aber nicht in der Bibel, sondern in den nicht in ihr aufgenommenen Evangelien, den sogenannten Apokryphen, berichtet wird.

Text: © Chris Gerbing, 2023

Markus Lüpertz schuf zwischen Frühjahr 2020 und Sommer 2022 insgesamt 14 Reliefs aus Ton mit einem Gesamtgewicht von 20 Tonnen für die sieben U-Bahnhöfe in Karlsruhe. Jedes der Bilder besteht aus zehn Tafeln à 100 x 80 cm mit einem bis zu 30 cm dicken Reliefaufbau. Die Bezeichnung „Genesis“ für den Zyklus leitet sich von der Siebenzahl der Bahnhöfe ab, eine religiöse Interpretation greift aber wesentlich zu kurz: Markus Lüpertz verarbeitete vor allem Geschichten aus dem Gilgamesch-Epos, aus der antiken Mythologie, aber auch aus dem heidnischen Volksglauben und der „Göttlichen Komödie“ von Dante Alighieri (1265-1321), die er mit wissenschaftlichen Erkenntnissen unserer Zeit zusammenführte. Dadurch entsteht seine eigene, künstlerische Interpretation der Schöpfungsgeschichte als freie, assoziative Annäherung an ein Thema, das in allen Weltreligionen vorkommt, das man aber auch als Grundlage unseres Seins verstehen kann. Der Betrachter ist dazu eingeladen, in diese vielschichtigen Bildergeschichten im Großformat einzutauchen und ausgehend von seinen eigenen Erfahrungen und Kenntnissen seine eigene „Genesis“ entstehen zu lassen.

Text: © Chris Gerbing, 2023

Ton ist ein archaischer Werkstoff; die älteste bekannte Figur, die von Menschenhand aus Ton gefertigt worden ist, ist die gut 11 cm hohe Venusfigurine Dolní Věstonice (benannt nach ihrem Ausgrabungsort im heutigen Tschechien). Sie datiert auf etwa 25.000 bis 29.000 Jahre und diente vermutlich kultischen Zwecken. Dennoch – oder vielleicht gerade wegen der langen Geschichte, die die Menschheit mit der Keramik verbindet – haftet ihr heute oft der Makel des Kunsthandwerklichen an. Für viele Künstler insbesondere seit der Nachkriegszeit war es daher immer nur eine Episode.

Im Unterschied dazu kann Markus Lüpertz auf eine lange Zeit des künstlerischen Schaffens auch in Ton zurückblicken, ausgehend von der ersten Ausstellung 1986 in der Züricher Galerie Maeght Lelong, die nach einem durch Eduardo Chillida angeregten intensiven Schaffensprozess und nach einer Begegnung mit dem Keramiker Hans Spinner in Grasse zustande kam. Etliche Jahre hat Lüpertz immer wieder auch mit der Karlsruher Majolika Manufaktur zusammengearbeitet und dort die Besonderheiten des Werkstoffs weiter ausloten können.

Ton ist ein sogenanntes additives Material, d.h. die Plastik entsteht durch Aufbau mit dem in feuchtem Zustand weichen Material. Im mehrmonatigen Trocknungsprozess schrumpft der Scherben, also die noch nicht gebrannte und glasierte Keramik, um bis zu 10 Prozent. Danach wird sie durch den Vor- oder Schrühbrand weiter gehärtet, anschließend farbig gefasst, glasiert und erhält zuletzt bei über 1100 Grad im Glattbrand ihr Finish. Dadurch ist Keramik außerordentlich haltbar.

Mit dem Monumentalzyklus „Genesis“, für den über 20 Tonnen Ton verarbeitet wurden, ging Markus Lüpertz an die Grenzen des Werkstoffs: Die Größe von 88 x 110 cm je Einzeltafel (zehn Tafeln ergeben ein Bild) war durch die Maße der Brennöfen vorgegeben. Mit bis zu 30 cm Dicke reizte Lüpertz zudem das Material aus, denn je dicker der Scherben ist, desto größer ist die Gefahr von Abplatzungen und Rissen bis hin zum gänzlichen Zerbrechen.

Text: © Chris Gerbing, 2023

Markus Lüpertz wurde 1941 in Reichenberg/Sudetenland, dem heutigen Liberec/Tschechien geboren und kam mit seinen Eltern als Heimatvertriebener ins Rheinland. Er war von 1988 bis 2009 Rektor der Düsseldorfer Kunstakademie; seine Lehrtätigkeit begann er 1974 an der Karlsruher Kunstakademie. Mit 30 Jahren war er damals Deutschlands jüngster Kunstprofessor, dort lehrte er zehn Jahre, dort lebt und arbeitet er bis heute – neben Berlin, Düsseldorf und Florenz. Insofern ist der „Genesis“-Zyklus für die Stadt Karlsruhe eine seine lange Verbundenheit belegende Geste des Malers, Grafikers und Bildhauers.

Lüpertz gilt als einer der bekanntesten deutschen Künstler der Nachkriegszeit, seine Kunstwerke können mit dem Titel einer Ausstellung, die 2017 im ZKM zu sehen gewesen ist, mit „Kunst, die im Wege steht“ umschrieben werden. Seine Auseinandersetzung mit dem Werkstoff Ton als künstlerischem Medium reicht bis ins Jahr 1986, wo er in der Galerie Maeght Lelong (Zürich/CH) erstmals Keramiken zeigte. Er kann auf eine langjährige Zusammenarbeit mit der Karlsruher Staatlichen Majolika Manufaktur zurückblicken, wo auch das erste der insgesamt 14 Keramikbilder für die Karlsruher U-Bahn gefertigt wurde. Damit verbunden war die Idee des Genesis-Initiators Anton Goll, der traditionsreichen Manufaktur neuen Glanz zu verleihen. Verschiedene Gründe führten zur Trennung von der Majolika und der Einrichtung des „Schwarzwald-Ateliers“ in der Zeller Keramik Manufaktur GmbH & Co. KG in Zell am Harmersbach, wo Lüpertz die übrigen 13 Keramiken schuf.

Text: © Chris Gerbing, 2023

Bereits 2013 hatte Anton Goll eine Vision und entwarf als ehemaliger Geschäftsführer der Staatlichen Majolika Manufaktur Karlsruhe ein künstlerisches Gesamtkonzept für die Aufwertung der U-Bahn und die Zukunftssicherung der Manufaktur. Damit überzeugte er den Oberbürgermeister Dr. Frank Mentrup. Dieser trat auf Golls Betreiben an Markus Lüpertz heran mit der Bitte um ein Kunstwerk zum 300. Stadtgeburtstag 2015, eines Kunstwerks für die Haltestelle Marktplatz des neu entstehenden Tunnelbauwerkes. Im Verlauf der anschließenden Gespräche zwischen Markus Lüpertz und Anton Goll konnte Goll den Künstler von einem Konzept zur kompletten Ausgestaltung der U-Bahn überzeugen, zunächst ein Werk für jede der sieben Haltestellen, schließlich für 14 Arbeiten, d. h. jeweils zwei für eine Haltestelle, für die Anton Goll als Initiator und Gesamtverantwortlicher die Gelder in Höhe von über 1 Million Euro persönlich einwarb und auch damit die politisch Verantwortlichen von der Idee und seinem Konzept überzeugte. Für die Umsetzung der Finanzierung für Spender und Sponsoren gründete Anton Goll den gemeinnützigen Verein Karlsruhe Kunst Erfahren e.V., für den er namhafte Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur gewinnen konnte.

Ursprünglich wollte Markus Lüpertz verschiedene Themen einbringen, konnte aber von Goll davon überzeugt werden, seine Kunstwerke unter ein Oberthema zu stellen. Der Titel lautete zunächst „Genesis – Die sieben Tage des Herrn“, dann „Genesis – Trumpf des Göttlichen“, dann „Genesis – Werke und Tage“ und wurde zuletzt auf „GENESIS“ verkürzt. Im Verlauf des Entstehungsprozesses kamen die vier Elemente als eigenständiges Thema dazu; auf diese Weise findet der Aspekt der Bewahrung der Schöpfung Eingang in den Monumentalzyklus. Ein Aspekt, der dem Initiator sehr wichtig war, um auch die jüngere Generation einzubinden und mitzunehmen. Goll begleitete das gesamte Projekt, von der Idee, der Herstellung bis zum Einbau und organisierte auch die Vernissage und den Festakt zur Eröffnung.

Text: © Karlsruhe Kunst Erfahren e.V., 2023

Insbesondere im Vorfeld, neuerlich aber nochmals nach Enthüllung der Kunstwerke kamen sie und Markus Lüpertz in die Kritik. Diese entzündete sich einmal an dem angeblich biblisch-christlichen Inhalt der Bilder, der sich jedoch auf eine einzige in der Bibel erwähnte Szene (Kronenplatz, Nordseite) beschränkt; eine weitere wird in den Apokryphen (Nikodemusevangelium) geschildert (Marktplatz, südliches der beiden Bilder auf der Westseite). Weitere Kritik wurde an der Person Lüpertz und der Beschränkung auf einen Künstler geäußert und zuletzt an dem Umstand, dass es weder einen Wettbewerb noch eine Beteiligung jüngerer Künstler gegeben habe.

Den Wettbewerb zur Ausgestaltung der U-Bahnhöfe gewann das Münchener Büro Allmann Sattler Wappner, das mit dem Lichtkünstler Ingo Maurer die in der Ausschreibung geforderte Kunst am Bau mitlieferte. Damit waren sämtliche dafür vorgesehenen städtischen Gelder an die Lichtkunst gebunden, der in der Diskussion geforderte Wettbewerb war bereits 2004 zugunsten von Ingo Maurer ausgefallen. Auf Betreiben des Initiators Anton Goll trat der Karlsruher Oberbürgermeister Dr. Frank Mentrup während des 300. Stadtgeburtstag 2015 an Markus Lüpertz heran mit dem Wunsch, Karlsruhe ein Kunstwerk für das neu entstehende Tunnelbauwerk zu schenken.  Die Gelder für das gesamte Projekt warb Goll ein, ebenso überzeugte sein Konzept die politischen Entscheidungsträger. Die Entscheidung für die Dauerleihgabe mit Schenkungsoption fiel – nachdem das Projekt sowohl Kulturausschuss, Kulturkommission, Ältestenrat, Hauptausschuss und zuletzt Gemeinderat passiert hatte – am 25. Juli 2017 zugunsten seines vorläufig auf sieben Jahre begrenzten Verbleibs. Die Keramikbilder sind eine private Initiative im öffentlichen Raum, für die Anton Goll und der von ihm gegründete und geleitete Verein  Karlsruhe Kunst Erfahren e.V. verantwortlich zeichnen.

Text: © Chris Gerbing, 2023

Weitere 1300 Fotos in der GENESIS-Fotogalerie. Sie zeigen den Weg von der Entstehung bis zur Vernissage/Einweihung, gegliedert nach Themenbereichen

Entdecken Sie die drei Filme zur Entstehung, Vernissage und Festakt sowie einen Beitrag des ZDF Heute Journals.

Sonderausgabe BNN: BNN – GENESIS -Magazin.

Aktuelle Presseinformationen: www.karlsruhe-kunst-erfahren.de

365-TAGE-GALERIE

Zur Orientierung finden Sie hier eine Übersicht über die 365-Tage-Galerie „Genesis“, die mit der Karlsruher U-Bahn an fast 24 Stunden täglich erreichbar ist.

Sie möchten tiefer in die „Genesis“-Thematik und die Kunstwerke von Markus Lüpertz eintauchen? Dann wenden Sie sich an die Tourist-Information Karlsruhe und buchen Sie über diesen Link eine Führung. Dort erhalten Sie auch das „Genesis“-Booklet mit Abbildungen aller 14 Keramiken sowie einer Tageskarte für zwei Personen (14,-/KVV-Zone 2) und die „Genesis“-Trilogie (Weitere Infos hier, 120,- Euro)

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